[Hinweis: unbezahlte Anzeige] „Beste Zeiten“ von Jenny Mustard, übersetzt von Lisa Kögeböhn, wurde mir freundlicherweise durch den Eichborn-Verlag kostenfrei als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.
Sickan, die eigentlich Siv heißt, ist gerade erst für ihr Studium nach Stockholm gezogen. Hier möchte sie sich endlich neu erfinden – weg von der Schulzeit in der Kleinstadt, in der sie gemobbt wurde und auch von ihren Eltern wenig Liebe erfährt, mitten hinein ins Großstadtleben. Hier möchte sie von vorne anfangen, mit einer neuen Identität, möchte endlich echte Freunde finden und sich vielleicht auch verlieben.
Über lange Stecken plätschert das Buch geradezu dahin: Man ist schnell „drin“ in Sickans Studentenleben, mit günstigem Wohnheimzimmer, Instantnudeln, Partys im Park und Vorlesungen, die vorbereitet werden müssen – oder auch mal geschwänzt werden können. Schnell kommen dann aber auch ernstere Themen aus Sickans Vergangenheit zur Sprache, die in dem Buch, das sich sonst häufig nach Wohlfühlliteratur anfühlt, geradezu schockierend wirken.
Ich habe mich in der Welt, die Jenny Mustard hier zeichnet, schnell wohl gefühlt. Das Leben einer jungen Erwachsenen, die zum ersten Mal wirklich auf eigenen Füßen stehen muss, der die Welt offen steht, die sich aber gleichzeitig selbst erst finden muss, ist hier extrem gut gezeichnet. Alltagssituationen und Gespräche wirken so realistisch, dass man sie beim Lesen glasklar vor Augen hat.
Etwas negativ fiel mir leider auf, dass zwar sehr viele gesellschaftlich relevante Themen (wie Feminismus, Traumata und ihre Bewältigung, Mobbing, Gewalt, um nur einige zu nennen) angesprochen werden. Häufig geht die Autorin bei diesen aber nicht wirklich in die Tiefe. So gibt es im Buch für mich einige Widersprüche: Sowohl beim Plot, zwischen geradezu seichten Passagen und durchaus brutalen Themen, die angeschnitten werden – als auch charakterlich bei Sickan als Protagonistin. Ohne zu viel von der Handlung verraten zu wollen: Sie macht, wie bei einem Coming-of-Age-Roman zu erwarten, eine starke persönliche Wandlung durch. Einige Handlungen ihres „alten Ichs“ passen aber eher zu den sich neu entwickelnden, nicht zu ihren ursprünglichen Charakterzügen. In den Rückblenden wirken diese Handlungen dann eher unglaubwürdig.
Zusammenfassend kann ich sagen: Ich habe mich in der Welt des Buches sehr wohl gefühlt. Die häufigen Szenenwechsel und kurzen Kapitel haben für mich dazu beigetragen, dass das Buch nicht langweilig wurde und ich es zügig durchgelesen habe. Bei einigen Themen hätte ich mir aber etwas mehr Tiefe gewünscht. Bestimmte, durchaus relevante Themen quasi nur en passant zu erwähnen, fühlt etwas nach vertanen Chancen an.
Besonders hervorheben möchte ich hier die Übersetzung von Lisa Kögeböhn, die aus meiner Sicht ausgezeichnet gelungen ist.
Fazit: ★★★★☆


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